Eine Zuflucht
Albert Einstein war sein Leben lang nirgends richtig zu Haus. Zwei Mal gab er die Staatsbürgerschaft seines Geburtslandes Deutschland auf, zuerst 1896 und dann wieder 1933. Zeitlebens besaß er einen Schweizer Pass, verließ das Land jedoch nach fünfzehn Jahren und fast ebenso vielen Adressen für immer. Als er 1911 in Prag unterrichtete, war er für kurze Zeit Bürger der K.u.k.-Monarchie Österreich-Ungarns. Und als er schließlich 1940 einen Eid auf die Amerikanische Verfassung ablegte, blieb er dort doch ein intellektueller Flüchtling, der sich in der englischen Sprache nie heimisch fühlte. Einstein nannte sich selbst einen Wandervogel. Er war – ob freiwillig oder nicht – immer auf der Suche nach einer neuen Zuflucht.
Nur ein einziges Mal versuchte Einstein, sich ein eigenes Nest zu bauen. Hätten ihn die politischen Umstände nicht zur Flucht gezwungen, wäre er gewiss auch dort geblieben. Er nannte sein Haus in Caputh ein Paradies, sein „Häusle“, einen Ort, an dem man, wie er es ausdrückte, auf die Welt pfeifen könne. Obwohl der Bau ursprünglich als Sommerhaus konzipiert worden war, lebte Einstein dort bis auf die kältesten Monate fast das ganze Jahr über. Von April bis November verließ er Caputh nur, um an Vorträgen teilzunehmen oder öffentlich aufzutreten. Einstein hat oft gesagt – und Freunde und die Mitglieder seiner Familie haben dies oft bestätigt -, dass er sich nie wohler und entspannter gefühlt habe als dort auf dem Land.
In der Caputher Seenlandschaft südwestlich von Berlin konnte er der Hektik der Großstadt entfliehen. Hier konnte er segeln, lange, einsame Spaziergänge durch die Wälder machen – und überhaupt den lästigen gesellschaftlichen Konventionen entkommen. Gäste, die an die Formalitäten der Preußischen Akademie der Wissenschaften gewöhnt waren (die Mitglieder sprachen sich dort mit „Eure Exzellenz“ an), zeigten sich oft überrascht, in Caputh von einem Einstein mit nackten Füßen und freiem Oberkörper begrüßt zu werden. Als ihn seine Frau einmal darum bat, sich vor der Ankunft einer Delegation von Würdenträgern umzuziehen, antwortete Einstein: „Wenn sie mich sehen wollen, bin ich da. Wenn sie meine Kleider betrachten wollen, öffne ich den Kleiderschrank.“ Das Einzige, was seinem Paradies fehle, so erzählte er einem Freund, sei ein Erzengel, dessen glühendes Schwert unerwünschte Besucher vertreibe. Wenn er schon auf diesen himmlischen Torhüter verzichten musste, so wollte er zumindest auch ohne Telefon leben. Die Leute kamen trotzdem.
Nicht alle Besucher waren Einstein jedoch unerwünscht. Regelmäßig lud er Wissenschaftler, politische Aktivisten, Schriftsteller, Philosophen, Journalisten und Künstler zu sich nach Caputh ein. Viele von ihnen waren enge Freunde. Die Atmosphäre mag dort heiter und ungezwungen gewesen sein, was man besprach, war deshalb keineswegs oberflächlich. Die Quantentheorie gehörte ebenso zu den Themen wie Fragen der Religion und der Politik, insbesondere die Gefahren von Krieg und Rassismus sowie die Probleme des Zionismus. Die Diskussionen in Einsteins Haus waren interdisziplinär avant la lettre und politisch scharfsichtig, und standen so Modell für das, was mit der Gründung des Einstein Forums sechzig Jahre später wieder aufleben sollte.